Geschichte als Sinnstiftung und das Wirklichkeitsproblem

Authors

  • M. Michael Zech

Abstract

Zusammenfassung. Jede historische Darstellung ist ein kultureller Beitrag, in dem vergangenes Geschehen erklärt und gedeutet wird. Seriöse Geschichte resultiert aus einem Orientierungsbedürfnis, welches sich vor allem aus Gegenwarts- und Zukunftsfragen speist. Insofern drückt sich in historischer Narration immer eine Bewusstseinsleistung aus, durch die das eigene Sein unter Einbeziehung vorausgegangener Prozesse erfasst werden soll, letztendlich den Wandel der Bedingungen auch in die Zukunft denkt. Gadamer spricht bezüglich dieser Durchdringung der Zeitdimensionen von der Verschmelzung der Horizonte. Die moderne Geschichtsdidaktik zielt darauf ab, diesen Sinnstiftungsakt selbst zum Gegenstand des Unterrichts zu erheben. Geschichtsbewusstsein soll dadurch aufgebaut und differenziert werden, dass Geschichte als Konstruktion kritisch analysiert werden kann und dabei auch die Eigenarten bzw. Intentionen, die der Narration zugrunde liegen, zu erschließen und beurteilen sind. Ob und wie ein solchermaßen reflektiertes und (selbst-)reflexives Geschichtsbewusstsein schulisch angebahnt werden kann, ist einerseits noch immer Gegenstand einer regen Theoriedebatte über Modelle historischer Kompetenz, andererseits aber durch die neuen Bildungspläne schon längst auch Herausforderung an die Lehrer. Die Schüler sollen ihren domänenspezifischen Kompetenznachweis erbringen, indem sie historische Sinnstiftung selbst leisten bzw. Geschichtsdarstellungen hinsichtlich ihrer narrativen Voraussetzungen durchschauen können. Vor diesem Problemaufriss muss auch der Geschichtsunterricht an den Waldorfschulen betrachtet werden. Es ist zu diskutieren, inwiefern die welt- und menschheitsgeschichtliche Ausrichtung seines Konzepts, inwiefern der auf Lehrerdarstellung sowie auf mündliche und schriftliche Darstellung durch die Schüler fokussierte Unterricht und inwiefern die Entwicklungsorientierung des Lehrplans mit seinem dreifachen Durchgang durch die Geschichte den Aufbau eines differenzierten Geschichtsbewusstseins unterstützen kann. Letztendlich geht es hier um die Frage, ob geschichtliche Orientierung bzw. Sinnstiftung sich als Adaptionsleistung einer kollektiven Geschichtskultur oder als individuell motivierter Bewusstseinsakt generiert. Schlüsselbegriffe: Geschichtsunterricht an Waldorfschulen, Weltgeschichtliche Perspektivierung, Historische Narration, Geschichtsbewusstsein, Erzählen im Geschichtsunterricht, Symptomatologische Geschichtsbetrachtung Abstract. Every presentation of history is a cultural input that explains and interprets past events. Reliable history is the outcome of a need for orientation, which is nurtured by questions pertaining to present and future problems. In this respect historical narration expresses awareness through which ones own preceding experiences and processes should be considered, including also the possible changes to be seen in the future. Referring to this interdependence of time dimensions, Gadamer talks of “Verschmelzung der Horizonte”. Modern didactics of history aim at bringing this creation of meaningfulness into history classes. Historical consciousness should be setup and differentiated in the sense that history can be critically analysed as a construction, revealing and evaluating the peculiarities and intentions being at the basis of narration. If and how this kind of deliberate and self-reflexive consciousness of history can be initiated in school is a challenge for teachers. It is still subject to a lively theoretical debate on models of historical skills on the one hand, on the other, through newer syllabi. Students are asked to provide their historical competence by performing their creation of historical meaningfulness themselves and accordingly identifying the premises of narration. This problem also needs to be considered in regards to history classes in Steiner Schools/Waldorf Schools. Discussion is needed as to what extent the focus of the Waldorf curriculum on world and human history, its focus on teacher’s narration, as well as student’s written and oral narration and finally its orientation on developmental emphasis with its passage through history in three different levels helps generate a differentiated consciousness of history. Eventually the main question is whether historical orientation, and accordingly identity formation is an achievement of adapting a collective history culture or whether it generates an individually motivated act of consciousness.

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